Mengenlehre: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Mengenlehre]] ist die mathematische Theorie von der [[Komprehension]], d.h. die mathematische Theorie von der Zusammenfassung von Objekten zu einer Gesamtheit.
[[Mengenlehre]] ist die mathematische Theorie von der [[Komprehension]], d.h. die mathematische Theorie von der Zusammenfassung von Objekten zu einer Gesamtheit.


==Typische Zusammenfassungen von Objekten==
===Typische Zusammenfassungen von Objekten===


* [[Menge (Mengenlehre)|Menge]]/[[Klasse (Mengenlehre)|Unmenge]]: ungeordnet, jedes Objekt kann höchstens einmal enthalten sein
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* [[Tupel]]/[[Liste]]: geordnet, jedes Objekt kann mehrfach enthalten sein
* [[Tupel]]/[[Liste]]: geordnet, jedes Objekt kann mehrfach enthalten sein


In der Informatik werden [[Datenstruktur]]en, die mehrere Objekte zusammenfassen, häufig auch als [[Container]] bezeichnet.
In der Informatik werden [[Datenstruktur]]en, die mehrere Objekte zusammenfassen, häufig auch als {{Container}} bezeichnet.


==Anmerkungen==
==Anmerkungen==


Man unterscheidet heutzutage zwischen der „'''naiven Mengenlehre'''“ und der „'''axiomatischen Mengenlehre'''“.<ref name="Brockhaus"/>
Man unterscheidet heutzutage zwischen der „'''naiven Mengenlehre'''“ und der „'''axiomatischen Mengenlehre'''“.<ref name="Brockhaus"/>
Allerdings sollte man eher zwischen '''unbeschränkter''' („naiver“) und '''beschränkter Mengenbildung''' bzw. zwischen '''unbeschränkter''' und '''beschränkter [[Komprehension]]''' unterscheiden.  
Allerdings sollte man eher zwischen '''unbeschränkter''' („naiver“) und '''beschränkter Mengenbildung''', {{dh}} zwischen '''unbeschränkter''' und '''beschränkter [[Komprehension]]''' unterscheiden.  


[[Felix Hausdorff]] nennt einen Mengenbegriff „naiv“, wenn er zu Paradoxien,
[[Felix Hausdorff]] nennt einen Mengenbegriff „naiv“, wenn er zu Paradoxien führt.<ref>{{Quelle|Hausdorff (1914)}}, S. 1 und S.2</ref>
wie z.B. der sogenannten [[Russellsche Antinomie|Russellschen Antinomie]]
Typische derartige Paradoxa wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt: das [[Burali-Forti-Paradoxon]], die [[Cantorsche Antinomie|Cantorschen Antinomien]] oder die  [[Russellsche Antinomie]].
führt.<ref>{{Quelle|Hausdorff (1914)}}, S. 1 und S.2</ref>
Der naive Mengenbegriff erlaubt eine uneingeschränkte Komprehension, d.h. eine beliebige Zusammenfassung von
Elementen des zugrundeliegenden Universums zu Mengen. Beispielsweise erlauben sowohl das (sicherlich nicht naive) Axiomensystem von [[Gottlob Frege]] (1893)<ref>{{Quelle|Frege (1893)}}</ref> als auch die [[Menge_(Mengenlehre)#Definition_.28Cantor_.281893.29.5B2.5D.29|informellen Definitionen des Mengenbegriffs]] von [[Georg Cantor]] (1893, 1895)<ref>{{Quelle|Cantor (1893b)}}</ref><ref>{{Quelle|Cantor (1895)}}</ref>
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In moderneren Axiomensystemen wird, beginnend mit den Systemen von [[ Bertrand Russell]] (1903, [[Typentheorie]])<ref>{{Quelle|Russell (1903)}}</ref> und [[Ernst Zermelo]] (1908)<ref>{{Quelle|Zermelo (1908)}}</ref>, versucht, diese Antinomien durch Beschränkung der Komprehension zu vermeiden.
Der naive Mengenbegriff erlaubt eine uneingeschränkte Komprehension, {{dh}} eine beliebige Zusammenfassung von
Elementen des zugrundeliegenden Universums zu Mengen. Beispielsweise erlauben sowohl das (sicherlich nicht naive) Axiomensystem von [[Gottlob Frege]] (1893)<ref>{{Quelle|Frege (1893)}}</ref><ref>{{Quelle|Gabriel et al. (1980)}}, S. 59f, Brief von Russell an Frege vom 16. Juni 1902</ref><ref>{{Quelle|Frege (1903)}}, Nachwort</ref> als auch die informellen Definitionen des Mengenbegriffs von [[Georg Cantor]] (1883, 1895)<ref>{{Quelle|Cantor (1883)}}</ref><ref>{{Quelle|Cantor (1883b)}}</ref><ref>{{Quelle|Cantor (1895)}}</ref>
die unbeschränkte Mengenbildung. Allerdings forderte Cantor bereits 1899 eine Einschränkung der Mengenbildung, so dass derartige
Antinomien nicht mehr möglich sind (vgl.  „[[Menge (Mengenlehre)#Cantors Definitionen und Antinomien|Cantors Definitionen und Antinomien]]“).<ref>{{Quelle|Cantor (1899)}}</ref>
 
In moderneren Axiomensystemen beginnend mit den Systemen von [[ Bertrand Russell]] (1903, [[Typentheorie]])<ref>{{Quelle|Russell (1903)}}</ref> und [[Ernst Zermelo]] (1908)<ref>{{Quelle|Zermelo (1908)}}</ref> – wird versucht, diese Antinomien durch Beschränkung der Komprehension zu vermeiden.
Ob dies allerdings tatsächlich gelungen ist – wovon man heute ausgeht –, kann nicht bewiesen werden. Dies ist eine der Schlussfolgerungen, die man aus
Ob dies allerdings tatsächlich gelungen ist – wovon man heute ausgeht –, kann nicht bewiesen werden. Dies ist eine der Schlussfolgerungen, die man aus
dem zweiten [[Unvollständigkeitssatz]] von [[Kurt Gödel]]<ref name="Gödel">{{Quelle|Gödel (1931)}}</ref> ziehen kann.
dem [[zweiter Unvollständigkeitssatz|zweiten Unvollständigkeitssatz]] von [[Kurt Gödel]]<ref name="Gödel">{{Quelle|Gödel (1931)}}</ref> ziehen kann.


'''Gängige Axiomensysteme der Mengenlehre mit beschränkter Komprehension'''
===Gängige Axiomensysteme der Mengenlehre mit beschränkter Komprehension===


* [[Russell-Whitehead-Mengenlehre]]
* [[Russell-Whitehead-Mengenlehre]]
* [[Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre]]
* [[Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre]]
* [[Neumann-Bernays-Gödel-Mengenlehre]]
* [[Neumann-Bernays-Gödel-Mengenlehre]]
* [[Quine-Rosser-Mengenlehre]]
* [[Morse-Kelley-Mengenlehre]]
* [[Ackermann-Mengenlehre]]
* [[Ackermann-Mengenlehre]]
* [[Klassenlogik]]en


==Quellen==
==Quellen==

Aktuelle Version vom 31. Juli 2019, 18:59 Uhr

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Definition (Brockhaus[1])

Mengenlehre, diejenige mathemat. Theorie, die sich mit den Eigenschaften von und den Beziehungen zw. Mengen beschäftigt.

Definition (Kowarschick)

Mengenlehre ist die mathematische Theorie von der Komprehension, d.h. die mathematische Theorie von der Zusammenfassung von Objekten zu einer Gesamtheit.

Typische Zusammenfassungen von Objekten

  • Menge/Unmenge: ungeordnet, jedes Objekt kann höchstens einmal enthalten sein
  • Multimenge: ungeordnet, jedes Objekt kann mehrfach enthalten sein
  • geordnetes Paar: geordnet, genau zwei (evtl. identische) Objekte sind enthalten
  • Tupel/Liste: geordnet, jedes Objekt kann mehrfach enthalten sein

In der Informatik werden Datenstrukturen, die mehrere Objekte zusammenfassen, häufig auch als Container bezeichnet.

Anmerkungen

Man unterscheidet heutzutage zwischen der „naiven Mengenlehre“ und der „axiomatischen Mengenlehre“.[1] Allerdings sollte man eher zwischen unbeschränkter („naiver“) und beschränkter Mengenbildung, d. h. zwischen unbeschränkter und beschränkter Komprehension unterscheiden.

Felix Hausdorff nennt einen Mengenbegriff „naiv“, wenn er zu Paradoxien führt.[2] Typische derartige Paradoxa wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt: das Burali-Forti-Paradoxon, die Cantorschen Antinomien oder die Russellsche Antinomie.

Der naive Mengenbegriff erlaubt eine uneingeschränkte Komprehension, d. h. eine beliebige Zusammenfassung von Elementen des zugrundeliegenden Universums zu Mengen. Beispielsweise erlauben sowohl das (sicherlich nicht naive) Axiomensystem von Gottlob Frege (1893)[3][4][5] als auch die informellen Definitionen des Mengenbegriffs von Georg Cantor (1883, 1895)[6][7][8] die unbeschränkte Mengenbildung. Allerdings forderte Cantor bereits 1899 eine Einschränkung der Mengenbildung, so dass derartige Antinomien nicht mehr möglich sind (vgl. „Cantors Definitionen und Antinomien“).[9]

In moderneren Axiomensystemen – beginnend mit den Systemen von Bertrand Russell (1903, Typentheorie)[10] und Ernst Zermelo (1908)[11] – wird versucht, diese Antinomien durch Beschränkung der Komprehension zu vermeiden. Ob dies allerdings tatsächlich gelungen ist – wovon man heute ausgeht –, kann nicht bewiesen werden. Dies ist eine der Schlussfolgerungen, die man aus dem zweiten Unvollständigkeitssatz von Kurt Gödel[12] ziehen kann.

Gängige Axiomensysteme der Mengenlehre mit beschränkter Komprehension

Quellen

  1. 1,0 1,1 Brockhaus (1991, MAG-MOD): Brockhaus-Enzyklopädie: Band 14, MAG-MOD; Auflage: 19; Verlag: F.A. Brockhaus GmbH; Adresse: Mannheim; ISBN: 3-7653-1114-6; 1991; Quellengüte: 5 (Buch)
  2. Hausdorff (1914): Felix Hausdorff; Grundzüge der Mengenlehre; Verlag: Veit and Company; Adresse: Leipzig; Web-Link; 1914; Quellengüte: 5 (Buch), S. 1 und S.2
  3. Frege (1893): Gottlob Frege; Grundgesetze der Arithmetik; Band: I; Verlag: Verlag Hermann Pohle; Adresse: Jena; Web-Link 0, Web-Link 1, Web-Link 2, Web-Link 3; 1893; Quellengüte: 5 (Buch)
  4. Gabriel et al. (1980): Gottlob Frege; Gottlob Freges Briefwechsel mit D. Hilbert, E. Husserl, B. Russell sowie ausgewählte Einzelbriefe Freges; Hrsg.: Gottfried Gabriel, Friedrich Kambartel und Christian Thiel; Verlag: Meiner Felix Verlag; ISBN: 3787304827; Web-Link; 1980; Quellengüte: 5 (Buch), S. 59f, Brief von Russell an Frege vom 16. Juni 1902
  5. Frege (1903): Gottlob Frege; Grundgesetze der Arithmetik; Band: II; Verlag: Verlag Hermann Pohle; Adresse: Jena; Web-Link 0, Web-Link 1; 1903; Quellengüte: 5 (Buch), Nachwort
  6. Cantor (1883): Georg Cantor; Grundlagen einer Allgemeinen Mannichfaltigkeitslehre – Ein mathematisch-philosophischer Versuch in der Lehre des Unendlichen; Verlag: Commissions-Verlag von B. Teubner; Adresse: Leipzig; Web-Link; 1883; Quellengüte: 5 (Buch)
  7. Cantor (1883b): Georg Cantor; Ueber unendliche, lineare Punktmannichfaltigkeiten – 5. (Fortsetzung des Artikels in Bd. XXI, pag. 51.); in: Mathematische Annalen; Band: 21; Nummer: 4; Seite(n): 545 – 591; Verlag: B. G. Teubner Verlag; Adresse: Leipzig; ISSN: 0025-5831 (Papier), 1432-1807 (Online); Web-Link 0, Web-Link 1, Web-Link 2, Web-Link 3; 1883; Quellengüte: 5 (Artikel)
  8. Cantor (1895): Georg Cantor; Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre; in: Mathematische Annalen; Band: 46; Nummer: 4; Seite(n): 481 – 512; Verlag: B. G. Teubner Verlag; Adresse: Leipzig; ISSN: 00255831 (Papier), 14321807 (Online); Web-Link 0, Web-Link 1, Web-Link 2, Web-Link 3; 1895; Quellengüte: 5 (Artikel)
  9. Cantor (1899): Georg Cantor; 163 Dedekind – Halle, 3. 8. 1899 – II, XXIV; Hrsg.: Herbert Meschkowski und Winfried Nilson; Seite(n): 407 – 411; Verlag: Springer-Verlag; ISBN: 978-3540506218, 978-3642743450; 1991; Quellengüte: 5 (Sammelband)
  10. Russell (1903): Bertrand Russell; The Principles of Mathematics; Auflage: 2; Verlag: W. W. Norton & Company; Adresse: Berlin; Web-Link; 1903; Quellengüte: 5 (Buch)
  11. Gödel (1931): Kurt Gödel; Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I; in: Monatshefte für Mathematik und Physik; Band: 38; Nummer: 1; Seite(n): 173-198; Verlag: Springer-Verlag GmbH; Adresse: Wien; Web-Link; 1931; Quellengüte: 5 (Artikel)

Siehe auch

  1. Russellsche Antinomie
  2. Typentheorie
  3. Schmidt (1966): Jürgen Schmidt; Mengenlehre – Grundbegriffe; Reihe: B.I.Hochschultaschenbücher; Band: 1; Nummer: 56; Verlag: Bibliographisches Institut AG; Adresse: Mannheim; ISBN: B0000BUJC6; 1966; Quellengüte: 5 (Buch)
  4. Felscher (1978): W. Felscher; Naive Mengen und abstrakte Zahlen; Band: 1; Verlag: BI-Wissenschaftsverlag; Adresse: Mannheim; ISBN: 3-411-01538-1; 1978; Quellengüte: 5 (Buch)
  5. Ebbinghaus (2003): Heinz-Dieter Ebbinghaus; Einführung in die Mengenlehre; Reihe: Hochschultaschenbuch; Auflage: 4; Verlag: Spektrum Akademischer Verlag; Adresse: Heidelberg, Berlin; ISBN: 3-8274-1411-3; 2003; Quellengüte: 5 (Buch)
  6. Wußing (2009): Hans Wußing; 6000 Jahre Mathematik – Eine kulturgeschichtliche Zeitreise – Von Euler bis zur Gegenwart; Hrsg.: H.W. Alten, A. Djafari Naini und H. Wesenmüller-Kock; Band: Band 2; Auflage: 1; Verlag: Springer-Verlag GmbH; Adresse: Berlin; ISBN: 3642023630; 2009; Quellengüte: 5 (Buch)
  7. Bedürftig, Murawski (2010): Thomas Bedürftig und Roman Murawski; Philosophie der Mathematik; Verlag: Walter de Gruyter GmbH; Adresse: Berlin; ISBN: 978-3110190939; Web-Link; 2010; Quellengüte: 5 (Buch)