Russellsche Antinomie: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Frage ist, ob sich die Russel-Menge selbst enthält oder nicht. Aber diese Frage kann nicht beantwortet werden,
Die Frage ist, ob sich die Russel-Menge selbst enthält oder nicht. Aber diese Frage kann nicht beantwortet werden,
da sich die Russel-Menge genau dann selbst enthält, wenn sie eine Menge ist und sich nicht selbst enthält:
da sich die Russel-Menge genau dann selbst enthält, wenn sie eine Menge ist und sich nicht selbst enthält:
<math>\mathcal R \in \mathcal R \Leftrightarrow \mathcal R \mbox{ ist ein Menge} \wedge \mathcal R \notin \mathcal R</math>
<math>\mathcal R \in \mathcal R \Leftrightarrow \mathcal R \mbox{ ist ein Menge} \wedge \mathcal R \notin \mathcal R</math>.


Nach der Cantorschen Definition ist die Russel-Menge eine Menge. Und damit ergibt sich sofort der erwähnte Widerspruch:  
Nach der Cantorschen Definition ist die Russel-Menge eine Menge. Und damit ergibt sich sofort der erwähnte Widerspruch:  
<math>\mathcal{R} \in \mathcal{R} \Leftrightarrow  \mathcal{R} \notin \mathcal{R}</math>
<math>\mathcal{R} \in \mathcal{R} \Leftrightarrow  \mathcal{R} \notin \mathcal{R}</math>.


In Worten: Die Russel-Mengen enthält sich genau dann selbst, wenn sie sich nicht selbst enthält.
In Worten: Die Russel-Mengen enthält sich genau dann selbst, wenn sie sich nicht selbst enthält.

Version vom 12. Juli 2006, 10:37 Uhr

Definition des Begriffes „Menge“ von Cantor

Der Begriff Menge wurde ursprünglich (1895) von Cantor folgendenrmaßen definiert:

Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung $ M $
von bestimmten wohlunterscheidbaren Objekten $ m $
unserer Anschauung und unseres Denkens
(welche Elemente von $ M $ genannt werden)
zu einem Ganzen. (Schwichtenberg (2000))

Diese Definition führt aber zu einer Antinomie, d.h. auf ein logisches Paradoxon, das erstmalls von Russel beschrieben wurde.

Definition der „Menge aller Objekte mit einer bestimmten Eigenschaft“

Zunächst zeigt man, dass die „Menge aller Objekte mit einer bestimmten Eigenschaft“ auch ein Objekt unserer Anschauung ist und damit – nach Cantor – Element einer beliebigen Menge sein kann.

Es sei $ U $ (Universum) die Gesamtheit aller Objekte unserer Anschauung und unseres Denkens.

Ein logische Formel $ A(x) $ beschreibt bestimmte Eigenschaften von Objekten aus $ U $, indem sie für jedes Objekt $ x $ aus $ U $ den Wert wahr oder falsch als Ergebnis hat. Dabei bedeutet:

  • wahr: $ x $ hat die mit $ A(x) $ beschriebene Eigenschaft
  • falsch: $ x $ hat die mit $ A(x) $ beschriebene Eigenschaft nicht

Damit kann man nun die „Menge aller Objekte $ x $ mit der Eigenschaft $ A(x) $“ definieren: $ \{x|A(x)\} $ bezeichnet die Menge aller Objekte $ x $ aus $ U $, die die Eigenschaft $ A $ haben, d.h., für die $ A(x) $ den Wert wahr hat.

Nun kann man die Element-Beziehung $ b \in \{x|A(x)\} $ folgendermaßen definieren: $ b\, $ ist genau dann ein Element der Menge $ \{x|A(x)\}\, $, in Zeichen $ b \in \{x|A(x)\} $, wenn $ A(b)\, $ wahr ist, d.h., wenn $ A(b)\, $ den Wert wahr hat.

Beispiele

  • $ \{x|x \mbox{ ist Student an der Fachhochschule Augburg}\}\, $ ist die Menge aller HSA-Studenten
  • $ \{x|x \mbox{ ist eine Primzahl}\}\, $ ist die Menge aller Primzahlen
  • $ \mathbb{Q} := \{x|x \mbox{ ist eine rationale Zahl}\} $ ist die Menge der rationalen Zahlen
  • $ \mathbb{V} := \{x|x \mbox{ ist eine Menge}\} $ ist die Menge aller Mengen

Jede Menge $ \{x|A(x)\}\, $ ist also „ein Objekt unserer Anschauung“ und damit ein Objekt aus unserem Universum $ U\, $. Dabei gibt es auch Mengen, die die etwas ungewöhnliche Eigenschaft haben sich selbst zu enthalten. Zum Beispiel enthält sich die Menge $ \mathbb{V} $ selbst, da $ \mathbb{V} $– nach Cantor – die Eigenschaft erfüllt, eine Menge zu sein.

Russelsche Antinomie

Aus der Tatsache, dass es Mengen gibt, die sich selbst enthalten, und andere, bei denen dies nicht der Fall ist, ergibt sich die so genannte Russelsche Antinomie.

$ \mathcal R := \{x|x \mbox{ ist eine Menge} \wedge x \notin x\} $ ist die so genannte Russel-Menge. Sie enthält alle Mengen, die sich nicht selbst enthalten.

Es gilt z.B. $ \{x|x \mbox{ ist eine Primzahl}\} \in \mathcal R $ und $ \mathbb{Q} \in \mathcal R $, aber $ \mathbb{V} \notin \mathcal R $.

Die Frage ist, ob sich die Russel-Menge selbst enthält oder nicht. Aber diese Frage kann nicht beantwortet werden, da sich die Russel-Menge genau dann selbst enthält, wenn sie eine Menge ist und sich nicht selbst enthält: $ \mathcal R \in \mathcal R \Leftrightarrow \mathcal R \mbox{ ist ein Menge} \wedge \mathcal R \notin \mathcal R $.

Nach der Cantorschen Definition ist die Russel-Menge eine Menge. Und damit ergibt sich sofort der erwähnte Widerspruch: $ \mathcal{R} \in \mathcal{R} \Leftrightarrow \mathcal{R} \notin \mathcal{R} $.

In Worten: Die Russel-Mengen enthält sich genau dann selbst, wenn sie sich nicht selbst enthält.

Lösung des Problems

Die Antinomie ergibt sich nur dann nicht, wenn die Russel-„Menge“ keine Menge ist, sondern irgendetwas anderes.

Es gab mehrere Versuche dieses „etwas anderes“ zu definieren. Im Prinzip ist die Idee, Mengen stufenweise zu definieren. Eine Menge n-ter Stufe kann nur Mengen m-ter Stufe enthalten, wobei m kleiner sein muss als n. Dann gibt es keine Mengen, die sich selbst enthalten (weil ja jede Menge derselben Stufe angehört wie sie selbst :-) ). Es gibt also keine „Menge aller Mengen“ und auch keine „Russel-Menge“ (Schwichtenberg (2000), Wikipedia:Typentheorie).

Zwei Fragen ergeben sich:

  1. Welche Elemente wählt man als Urelemente der Stufe 0? Die Stufe 0 enthält als einzige Stufe keine Mengen.
  2. Wie viele Stufen benötigt man?

Zu 1.: Wählt man beispielsweise die natürlichen Zahlen als Elemente der Stufe 0, so ist {1,5,7} ein Element der Stufe 1 und {1,5,{5,7}} ein Element der Stufe 2.

Aus rein mathematischer Sicht ist es gar nicht notwendig, irgendwelche Urelemente zu wählen. Man erhält auch ohne sie genug Objekte (nämlich Mengen), die man mit den übrigen Objekten unserer Anschauung und unseres Denkens identifizieren kann:

Stufe 0: -
Stufe 1: {}
Stufe 2: {}, {{}}
Stufe 3: {}, {{}}, {{{}}},{{},{{}}}
etc.

Zu 2.: Shoenfield (1967) hat das so genannte Shoenfield-Prinzip formuliert:

„Man betrachte eine Gesamtheit S von Stufen. 
 Kann man sich eine Situation vorstellen, 
 in der alle Stufen aus S konstruiert sind, 
 so soll es eine Stufe geben, 
 die nach allen Stufen aus S kommt.“ 

Dieses Prinzip wird bei der transfiniten Induktion und den Ordinalzahlen ebenfalls verwendet. Es besagt, dass nach undenlich vielen Schritten jeweils ein weiterer kommt, der die Ergebnisse dieser unendliche vielen Schritte zusammenfasst.

Das Universum aller Mengen, die auf diese Weise definiert wurde, heißt kumulative Typenstruktur.

Allerdings formalisiert man die Mengenlehre nicht auf diese Weise, sondern führt mit Hilfe von Axiomen die so genannten Klassen ein und kann dann für die meisten dieser Axiome zeigen, dass die kumulative Typenstruktur diese Axiome erfüllt.

Man nennt „Zusammenfassungen unserer Anschauung und unseres Denkens“ zunächst einmal Klasse und nicht Menge. Zwei spezielle Arten von Klassen werden dann unterschieden, die so genannten Mengen und die so genannten Unmengen oder echte Klassen.

Eine Menge ist dabei eine Klasse, die Element einer anderen Klasse ist, d.h. die (sofern die kumulative Typenstruktur verwendet wird) auf irgendeiner der oben definierten Stufen liegt. Eine Unmenge ist eine Klasse, die kein Element einer anderen Klasse ist und damit auch in keiner der obigen Stufen enthalten ist.

Beipiele für Unmengen sind die Allklasse, d.h. die Klasse, die alle Mengen enthält (aber nicht alle Klassen!), sowie die Russel-Klasse, die alle Mengen enthält, die sich nicht selbst enthalten. Es gibt noch Unmengen von weiteren Unmengen. :-)

Die Russel-Klasse enthält sich nicht selbst, da sie die Bedingung „$ \mathcal{R} $ ist eine Menge“ nicht erfüllen kann (sonst ergäbe sich sofort die Russelsche Antinomie):

$ \mathcal R \in \mathcal R \Leftrightarrow \mathcal R \mbox{ ist ein Menge} \wedge \mathcal R \notin \mathcal R \Leftrightarrow $ falsch, d.h. $ \mathcal R $ ist eine Unmenge und damit $ \mathcal R \notin \mathcal R $.

Diese so genannte „Klassentheorie“ hat sich bisher als sehr stabil erwiesen. Es wurden keine weiteren Antinomien entdeckt und daher geht man davon aus, dass damit eine widerspruchfreie Mengenlehre definiert wurde. Leider kann man aber auf Basis des Gödelschen Unvollständigkeitsatzes beweisen, dass man die Widerspruchfreiheit der zugehörigen Axiome der Mengenlehre nicht nachweisen kann. Mit ein wenig Unsicherheit bezüglich dieser Definition müssen wir also bis in alle Zeiten leben. Vielleicht finden Sie ja eine neue Antinomie, die in dieser Definition enthalten ist. (Allerdings sollten Sie nicht Ihre Zeit damit verschwenden, da die Erfolgsaussichten doch sehr gering sind.)

Quelle

Schwichtenberg, H. (2000): Mathematische Logik

Siehe auch