Russellsche Antinomie: Unterschied zwischen den Versionen

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unserer Anschauung und unseres Denkens“ ([[Cantor (1895)]]) führt zu einer [[Antinomie]], d.h. auf ein logisches [[Paradoxon]], das erstmals von [[Bertrand Russell]] beschrieben wurde.
unserer Anschauung und unseres Denkens“ ([[Cantor (1895)]]) führt zu einer [[Antinomie]], d.h. auf ein logisches [[Paradoxon]], das erstmals von [[Bertrand Russell]] beschrieben wurde.


Russel definiert die '''Russel-Menge''' als die '''„Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten“'''. Die Russel-Menge ist eine „Zusammenfassung von wohlunterscheidbaren Objekten unserer Anschauung und unseres Denkens“ und damit eine Menge. Außerdem ist sie selbst ein „Objekt unseres Denkens“ und kann damit Element von anderen Mengen sein – und auch von sich selbst!
Russell definiert die '''Russell-Menge''' als die '''„Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten“'''. Die Russell-Menge ist eine „Zusammenfassung von wohlunterscheidbaren Objekten unserer Anschauung und unseres Denkens“ und damit eine Menge. Außerdem ist sie selbst ein „Objekt unseres Denkens“ und kann damit Element von anderen Mengen sein – und auch von sich selbst!


Und so stellt Russel die Frage, ob sich die Russel-Menge selbst enthält. Diese Frage führt aber zu einem Widerspruch:  
Und so stellt Russell die Frage, ob sich die Russel-Menge selbst enthält. Diese Frage führt aber zu einem Widerspruch:  


'''Die Russel-Menge enthält sich''' – laut Definition der Russel-Menge – '''genau dann selbst, wenn sie sich nicht selbst enthält.'''  
'''Die Russell-Menge enthält sich''' – laut Definition der Russell-Menge – '''genau dann selbst, wenn sie sich nicht selbst enthält.'''  


Dieses Paradoxon hat die Cantorsche [[naive Mengenlehre]] in ihren Grundfesten erschüttern.
Dieses Paradoxon hat die Cantorsche [[naive Mengenlehre]] in ihren Grundfesten erschüttern.


'''Weitere Beispiele für die Russelsche Antinomie'''  
'''Weitere Beispiele für die Russellsche Antinomie'''  


* Ein Barbier rasiert alle Männer des Ortes, die sich nicht selbst rasieren, und nur diese. Rasiert er sich selbst?
* Ein Barbier rasiert alle Männer des Ortes, die sich nicht selbst rasieren, und nur diese. Rasiert er sich selbst?
* Ein Katalog beschreibt alle Kataloge, die sich nicht selbst beschreiben, und nur diese. Beschreibt dieser Katalog sich selbst?
* Ein Katalog beschreibt alle Kataloge, die sich nicht selbst beschreiben, und nur diese. Beschreibt dieser Katalog sich selbst?


Dies war eine informelle Beschreibung der Russel-Antinomie. Im Folgenden wird eine etws formalere Definition sowie eine möglich Lösung angegeben, die es erlaubt, eine [[axiomatische Mengenlehre]] zu definieren, die frei von der Russel-Antinomie ist. Leider kann man nicht beweisen, dass es in einer der modernen Axiomen-Systemen der Mengenlehre, und derer gibt es mehrere, keine anderen, bislang noch nicht entdeckten Antinomien gibt.
Dies war eine informelle Beschreibung der Russell-Antinomie. Im Folgenden wird eine etws formalere Definition sowie eine möglich Lösung angegeben, die es erlaubt, eine [[axiomatische Mengenlehre]] zu definieren, die frei von der Russell-Antinomie ist. Leider kann man nicht beweisen, dass es in einer der modernen Axiomen-Systemen der Mengenlehre, und derer gibt es mehrere, keine anderen, bislang noch nicht entdeckten Antinomien gibt.


=Definition des Begiffs „Menge“ nach Cantor=
=Definition des Begiffs „Menge“ nach Cantor=

Version vom 13. Juli 2006, 09:01 Uhr

Definition

Die von Cantor 1895 eigeführte Definition des Begriffs Menge als „Zusammenfassung von wohlunterscheidbaren Objekten unserer Anschauung und unseres Denkens“ (Cantor (1895)) führt zu einer Antinomie, d.h. auf ein logisches Paradoxon, das erstmals von Bertrand Russell beschrieben wurde.

Russell definiert die Russell-Menge als die „Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten“. Die Russell-Menge ist eine „Zusammenfassung von wohlunterscheidbaren Objekten unserer Anschauung und unseres Denkens“ und damit eine Menge. Außerdem ist sie selbst ein „Objekt unseres Denkens“ und kann damit Element von anderen Mengen sein – und auch von sich selbst!

Und so stellt Russell die Frage, ob sich die Russel-Menge selbst enthält. Diese Frage führt aber zu einem Widerspruch:

Die Russell-Menge enthält sich – laut Definition der Russell-Menge – genau dann selbst, wenn sie sich nicht selbst enthält.

Dieses Paradoxon hat die Cantorsche naive Mengenlehre in ihren Grundfesten erschüttern.

Weitere Beispiele für die Russellsche Antinomie

  • Ein Barbier rasiert alle Männer des Ortes, die sich nicht selbst rasieren, und nur diese. Rasiert er sich selbst?
  • Ein Katalog beschreibt alle Kataloge, die sich nicht selbst beschreiben, und nur diese. Beschreibt dieser Katalog sich selbst?

Dies war eine informelle Beschreibung der Russell-Antinomie. Im Folgenden wird eine etws formalere Definition sowie eine möglich Lösung angegeben, die es erlaubt, eine axiomatische Mengenlehre zu definieren, die frei von der Russell-Antinomie ist. Leider kann man nicht beweisen, dass es in einer der modernen Axiomen-Systemen der Mengenlehre, und derer gibt es mehrere, keine anderen, bislang noch nicht entdeckten Antinomien gibt.

Definition des Begiffs „Menge“ nach Cantor

Der Begriff Menge wurde ursprünglich (1895) von Cantor folgendenrmaßen definiert:

Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung $ M $
von bestimmten wohlunterscheidbaren Objekten $ m $
unserer Anschauung und unseres Denkens
(welche Elemente von $ M $ genannt werden)
zu einem Ganzen. (Cantor (1895))

Definition der „Menge aller Objekte mit einer bestimmten Eigenschaft“

Zunächst zeigt man, dass die „Menge aller Objekte mit einer bestimmten Eigenschaft“ auch ein Objekt unserer Anschauung ist und damit – nach Cantor – Element einer beliebigen Menge sein kann.

Es sei $ U $ (Universum) die Gesamtheit aller Objekte unserer Anschauung und unseres Denkens.

Ein logische Formel $ A(x) $ beschreibt bestimmte Eigenschaften von Objekten aus $ U $, indem sie für jedes Objekt $ x $ aus $ U $ den Wert wahr oder falsch als Ergebnis hat. Dabei bedeutet:

  • wahr: $ x $ hat die mit $ A(x) $ beschriebene Eigenschaft
  • falsch: $ x $ hat die mit $ A(x) $ beschriebene Eigenschaft nicht

Damit kann man nun die „Menge aller Objekte $ x $ mit der Eigenschaft $ A(x) $“ definieren: $ \{x|A(x)\} $ bezeichnet die Menge aller Objekte $ x $ aus $ U $, die die Eigenschaft $ A $ haben, d.h., für die $ A(x) $ den Wert wahr hat.

Nun kann man die Element-Beziehung $ b \in \{x|A(x)\} $ folgendermaßen definieren: $ b\, $ ist genau dann ein Element der Menge $ \{x|A(x)\}\, $, in Zeichen $ b \in \{x|A(x)\} $, wenn $ A(b)\, $ wahr ist, d.h., wenn $ A(b)\, $ den Wert wahr hat.

Beispiele

  • $ \{x|x \mbox{ ist Student an der Fachhochschule Augburg}\}\, $ ist die Menge aller HSA-Studenten
  • $ \{x|x \mbox{ ist eine Primzahl}\}\, $ ist die Menge aller Primzahlen
  • $ \mathbb{Q} := \{x|x \mbox{ ist eine rationale Zahl}\} $ ist die Menge der rationalen Zahlen
  • $ \mathbb{V} := \{x|x \mbox{ ist eine Menge}\} $ ist die Menge aller Mengen

Jede Menge $ \{x|A(x)\}\, $ ist also „ein Objekt unserer Anschauung“ und damit ein Objekt aus unserem Universum $ U\, $. Dabei gibt es auch Mengen, die die etwas ungewöhnliche Eigenschaft haben sich selbst zu enthalten. Zum Beispiel enthält sich die Menge $ \mathbb{V} $ selbst, da $ \mathbb{V} $– nach Cantor – die Eigenschaft erfüllt, eine Menge zu sein.

Russellsche Antinomie

Aus der Tatsache, dass es Mengen gibt, die sich selbst enthalten, und andere, bei denen dies nicht der Fall ist, ergibt sich die so genannte Russellsche Antinomie.

$ \mathcal R := \{x|x \mbox{ ist eine Menge} \wedge x \notin x\} $ ist die so genannte Russel-Menge. Sie enthält alle Mengen, die sich nicht selbst enthalten.

Es gilt z.B. $ \{x|x \mbox{ ist eine Primzahl}\} \in \mathcal R $ und $ \mathbb{Q} \in \mathcal R $, aber $ 3 \notin \mathcal R $ (3 ist keine Menge) und $ \mathbb{V} \notin \mathcal R $ ($ \mathbb{V} $ ist zwar eine Menge, enthält sich aber selbst).

Die Frage ist, ob sich die Russell-Menge selbst enthält oder nicht. Aber diese Frage kann nicht beantwortet werden, da sich die Russel-Menge genau dann selbst enthält, wenn sie eine Menge ist und sich nicht selbst enthält: $ \mathcal R \in \mathcal R \Leftrightarrow \mathcal R \mbox{ ist ein Menge} \wedge \mathcal R \notin \mathcal R $.

Nach der Cantorschen Definition ist die Russell-Menge eine Menge. Und damit ergibt sich sofort der erwähnte Widerspruch: $ \mathcal{R} \in \mathcal{R} \Leftrightarrow \mathcal{R} \notin \mathcal{R} $.

In Worten: Die Russell-Mengen enthält sich genau dann selbst, wenn sie sich nicht selbst enthält.

Lösung des Problems

Kumulative Typenstruktur

Die Antinomie ergibt sich nur dann nicht, wenn die Russel-„Menge“ keine Menge ist, sondern irgendetwas anderes.

Es gab mehrere Versuche dieses „etwas anderes“ zu definieren. Im Prinzip ist die Idee, Mengen stufenweise zu definieren. Eine Menge n-ter Stufe kann nur Mengen m-ter Stufe enthalten, wobei m kleiner sein muss als n. Dann gibt es keine Mengen, die sich selbst enthalten (weil ja jede Menge derselben Stufe angehört wie sie selbst :-) ). Es gibt also keine „Menge aller Mengen“ und auch keine „Russel-Menge“ (Schwichtenberg (2000), Wikipedia:Typentheorie).

Zwei Fragen ergeben sich:

  1. Welche Elemente wählt man als Urelemente der Stufe 0? Die Stufe 0 enthält als einzige Stufe keine Mengen.
  2. Wie viele Stufen benötigt man?

Zu 1.: Wählt man beispielsweise die natürlichen Zahlen als Elemente der Stufe 0, so ist {1,5,7} ein Element der Stufe 1 und {1,5,{5,7}} ein Element der Stufe 2:

Stufe 0: 0, 1, 2, ...
Stufe 1: {}, {0}, {1}, ..., {0,1}, {0,2}, ..., ...
Stufe 2: {{}}, {{0}}, {{1}}, ..., {{0,1}}, {{0,2}}, ..., ..., {{},{0}}, ..., {{},{0},{0,1}}, ..., ...
Stufe 3: ...

Aus rein mathematischer Sicht ist es gar nicht notwendig, irgendwelche Urelemente zu wählen. Man erhält auch ohne sie genug Objekte (nämlich Mengen), die man mit den übrigen Objekten unserer Anschauung und unseres Denkens identifizieren kann:

Stufe 0: -
Stufe 1: {}
Stufe 2: {{}}
Stufe 3: {{{}}}, {{},{{}}}
Stufe 4: ...

Zu 2.: Shoenfield (1967) hat das so genannte Shoenfield-Prinzip formuliert (wenn auch etwas schwammig):

„Man betrachte eine Gesamtheit S von Stufen. 
 Kann man sich eine Situation vorstellen, 
 in der alle Stufen aus S konstruiert sind, 
 so soll es eine Stufe geben, 
 die nach allen Stufen aus S kommt.“ 

Dieses Prinzip wird bei der transfiniten Induktion und den Ordinalzahlen ebenfalls verwendet. Es besagt, dass nach undenlich vielen Schritten jeweils ein weiterer kommt, der die Ergebnisse dieser unendliche vielen Schritte zusammenfasst.

Das Universum aller Mengen, die auf diese Weise definiert wurde, heißt kumulative Typenstruktur.

Allerdings formalisiert man die Mengenlehre nicht auf diese Weise, sondern führt mit Hilfe von Axiomen die so genannten Klassen ein und kann dann für die meisten dieser Axiome zeigen, dass die kumulative Typenstruktur diese Axiome erfüllt.

Klassen

Man nennt „Zusammenfassungen von bestimmten Objekten unserer Anschauung und unseres Denkens“ zunächst einmal Klasse und nicht Menge. Der wichtigste Untersched zu Cantors Definition ist, dass man nicht von jeder Klasse fordert, ebenfalls ein solches „Objekt unserer Anschauung und unseres Denkens“ zu sein. Das heißt, es kann Klassen geben, die kein Element irgendeiner anderen Klasse sind.

Daher kann man zwei spezielle Arten von Klassen unterscheiden: die so genannten Mengen und die so genannten Unmengen oder echten Klassen.

Eine Menge ist eine Klasse, die Element einer anderen Klasse ist, d.h. die (sofern die kumulative Typenstruktur verwendet wird) auf irgendeiner der oben definierten Stufen liegt. Eine Unmenge ist eine Klasse, die kein Element einer anderen Klasse ist und damit auch in keiner der obigen Stufen enthalten ist.

Beipiele für Unmengen sind die Allklasse, d.h. die Klasse, die alle Mengen enthält (aber nicht alle Klassen!), sowie die Russel-Klasse, die alle Mengen enthält, die sich nicht selbst enthalten. Die Russel-Klasse enthält sich nicht selbst, da sie die Bedingung „$ \mathcal{R} $ ist eine Menge“ nicht erfüllen kann (sonst ergäbe sich sofort die Russelsche Antinomie):

$ \mathcal R \in \mathcal R \Leftrightarrow \mathcal R \mbox{ ist ein Menge} \wedge \mathcal R \notin \mathcal R \Leftrightarrow $ falsch, d.h. $ \mathcal R $ ist eine Unmenge und damit $ \mathcal R \notin \mathcal R $.

Es gibt noch Unmengen von weiteren Unmengen. :-)

Diese so genannte „Klassentheorie“ hat sich bisher als sehr stabil erwiesen. Es wurden keine weiteren Antinomien entdeckt und daher geht man davon aus, dass damit eine widerspruchfreie Mengenlehre definiert wurde. Leider kann man aber auf Basis der Gödelschen Unvollständigkeitsatzes beweisen, dass man die Widerspruchfreiheit der zugehörigen Axiome der Mengenlehre nicht nachweisen kann. Mit ein wenig Unsicherheit bezüglich dieser Definition müssen wir also bis in alle Zeiten leben. Vielleicht finden Sie ja eine neue Antinomie, die in dieser Definition enthalten ist. (Allerdings sollten Sie nicht Ihre Zeit damit verschwenden, da die Erfolgsaussichten doch sehr gering sind.)

Quelle

Schwichtenberg, H. (2000): Mathematische Logik

Siehe auch