Russellsche Antinomie

aus GlossarWiki, der Glossar-Datenbank der Fachhochschule Augsburg

Definition des Begriffes „Menge“ von Cantor

Der Begriff Menge wurde ursprünglich (1895) von Cantor folgendenrmaßen definiert:

Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung $ M $
von bestimmten wohlunterscheidbaren Objekten $ m $
unserer Anschauung und unseres Denkens
(welche Elemente von $ M $ genannt werden)
zu einem Ganzen. (Schwichtenberg (2000))

Diese Definition führt aber zu einer Antinomie, d.h. auf ein logisches Paradoxon, das erstmalls von Russel beschrieben wurde.

Definition der „Menge aller Objekte mit einer bestimmten Eigenschaft“

Zunächst zeigt man, dass die „Menge aller Objekte mit einer bestimmten Eigenschaft“ auch ein Objekt unserer Anschauung ist und damit – nach Cantor – Element einer beliebigen Menge sein kann.

Es sei $ U $ (Universum) die Gesamtheit aller Objekte unserer Anschauung und unseres Denkens.

Ein logische Formel $ A(x) $ beschreibt bestimmte Eigenschaften von Objekten aus $ U $, indem sie für jedes Objekt $ x $ aus $ U $ den Wert wahr oder falsch als Ergebnis hat. Dabei bedeutet:

  • wahr: $ x $ hat die mit $ A(x) $ beschriebene Eigenschaft
  • falsch: $ x $ hat die mit $ A(x) $ beschriebene Eigenschaft nicht

Mit $ \{x|A(x)\} $ wird die Menge aller Objekte $ x $ aus $ U $ bezeichnet, die die Eigenschaft $ A $ haben, d.h., für die $ A(x) $ den Wert wahr hat.

Nun kann man die Element-Beziehung folgendermaßen definieren: $ b\, $ ist genau dann ein Element der Menge $ \{x|A(x)\}\, $ ist, in Zeichen $ b \in \{x|A(x)\} $, wenn $ A(b)\, $ wahr ist (d.h., wenn $ A(b)\, $ den Wert wahr hat)

Beispiele

  • $ \{x|x \mbox{ ist Student an der Fachhochschule Augburg}\}\, $ ist die Menge aller HSA-Studenten
  • $ \{x|x \mbox{ ist eine Primzahl}\}\, $ ist die Menge aller Primzahlen
  • $ \mathbb{Q} := \{x|x \mbox{ ist eine rationale Zahl}\} $ ist die Menge der rationalen Zahlen
  • $ \mathbb{V} := \{x|x \mbox{ ist eine Menge}\} $ ist die Menge aller Mengen

Jede Menge $ \{x|A(x)\}\, $ ist also „ein Objekt unserer Anschauung“ und damit ein Objekt aus unserem Universum $ U\, $. Dabei gibt es auch Mengen, die etwas ungewöhnlich Eigenschaften haben. Zum Beispiel enthält sich die Menge $ \mathbb{V} $ selbst, da $ \mathbb{V} $ die Eigenschaft erfüllt "eine Menge zu sein".

Russelsche Antinomie

Aus der Tatsache, dass es Mengen gibt, die sich selbst enthalten, und andere, bei denen dies nicht der Fall ist, ergibt sich nun die so genannte Russelsche Antinomie.

$ \mathcal R := \{x|x \mbox{ ist eine Menge} \wedge x \notin x\} $ ist die so genannte Russel-Menge. Sie enthält alle Mengen, die sich nicht selbst enthalten.

Die Frage ist, ob sich die Russel-Menge selbst enthält oder nicht. Aber diese Frage kann nicht beantwortet werden, da sich die Russel-Menge genau dann selbst enthält, wenn sie sich nicht selbst enthält: $ \mathcal R \in \mathcal R \Leftrightarrow \mathcal R \mbox{ ist ein Menge} \wedge \mathcal R \notin \mathcal R $

Nach der Cantorschen Definition ist die Russel-Menge eine Menge. Und damit ergibt sich sofort ein Widerspruch: $ \mathcal{R} \in \mathcal{R} \Leftrightarrow \mathcal{R} \notin \mathcal{R} $

In Worten: Die Russel-Mengen enthält sich genau dann selbst, wenn sie sich nicht selbst enthält.

Lösung des Problems

Die Antinomie ergibt sich nur dann nicht, wenn die Russel-„Menge“ keine Menge ist, sondern irgendetwas anderes.

Es gab mehrere Versuche dieses „etwas anderes“ zu definieren. Zum Beispiel kann man Mengen-Definitionen in Schichten einteilen. Eine Menge n-ter Stufe kann nur Mengen m-ter Stufe enthalten, wobei m kleiner sein muss als n. Dann gibt es keine Mengen, die sich selbst enthalten (weil ja jede Menge derselben Stufe angehört wie sie selbst :-) ). Es gäbe also keine „Menge aller Mengen“ und auch keine „Russel-Menge“.

Dieser Ansatz ist jedoch etwas schwerfällig.

Heute wendet man einen anderen Trick an: Man nennt „Zusammenfassungen unserer Anschauung und unseres Denkens“ zunächst einmal Klasse und nicht Menge. In einem zweiten Schritt definiert man zwei spezielle Arten von Klassen, die so genannten Mengen und die so genannten Unmengen oder echte Klassen.

Eine Menge ist dabei eine Klasse, die Element einer anderen Klasse ist, und eine Unmenge ist eine Klasse, die kein Element einer anderen Klasse ist.

Beipiele für Unmengen sind die Allklasse, d.h. die Klasse, die alle Mengen enthält (aber nicht alle Klassen!), sowie die Russel-Klasse, die alle Mengen enthält, die sich nicht selbst enthalten. Es gibt noch Unmengen von weiteren Unmengen. :-)

Die Russel-Klasse enthält sich nicht selbst, da sie die Bedingung „$ \mathcal{R} $ ist eine Menge“ nicht erfüllen kann (sonst ergäbe sich sofort die Russelsche Antinomie):

$ \mathcal R \in \mathcal R \Leftrightarrow \mathcal R \mbox{ ist ein Menge} \wedge \mathcal R \notin \mathcal R \Leftrightarrow $ falsch, d.h. $ \mathcal R \notin \mathcal R $ und $ \mathcal R $ ist eine Unmenge

Diese so genannte „Klassentheorie“ hat sich bisher als sehr stabil erwiesen. Es wurden keine weiteren Antinomien entdeckt und daher geht man davon aus, dass damit eine widerspruchfreie Mengenlehre definiert wurde. Leider kann man aber beweisen, das man die Widerspruchfreiheit der zugehörigen Axiome der Mengenlehre nicht beweisen kann. Mit ein wenig Unsicherheit bezüglich dieser Definition müssen wir also bis in alle Zeiten leben. Vielleicht finden Sie ja eine neue Antinomie, die in dieser Definition enthalten ist. (Allerdings sollten Sie nicht Ihre Zeit damit verschwenden, da die Erfolgsaussichten doch sehr gering sind.)

Quelle

Schwichtenberg, Mathematische Logik, 2000

Siehe auch

Wikipedia:Russellsche Antinomie