Menge (Mengenlehre)

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Definition von Bolzano (ca. 1840)[1]

Inbegriffe nun, bey welchen auf die Art, wie ihre Theile mit einander verbunden sind, gar nicht geachtet werden soll, an denen somit Alles, was wir an ihnen unterscheiden, bestimmt ist, sobald nur ihre Theile <selbst> bestimmt sind, verdienen es eben um dieser Beschaffenheit willen, mit einem eigenen Nahmen bezeichnet zu werden. In Ermangelung eines andern tauglichen Wortes erlaube ich mir das Wort Menge zu diesem Zwecke zu brauchen; da es von Mengen abgeleitet wird, auch im gemeinen Leben nur zur Bezeichnung solcher Inbegriffe, bey denen man keine Ordnung der Theile beachtet, angewandt wird, ...

Anmerkungen

Der Begriff Menge als Zusammenfassung von Theilen geht gemäß dieser Definition auf Bernard Bolzano zurück. Bolzano betont, dass es nicht darauf ankommt ob und wie diese Theile verbunden sind. Beispielsweise ist ein Uhrwerk, das aus Rädern, Federn und dergleichen besteht, für Bolzano keine Menge, da es hier darauf ankommt, wie diese Theile verbunden sind.

Bolzanos Definition ist allerdings nicht sonderlich befriedigend, da er zur Definition des Begriffs „Menge“ den Begriff „Inbegriff“ verwendet, der lange Zeit als Synonym für „Menge“ verwendet wird (vgl. die nachfolgenden Anmerkungen zu Cantors Definition).

Definition von Cantor (1895)[2]

Unter einer ‚Menge‘ verstehen wir jede Zusammenfassung $ M $ von bestimmten wohlunterscheidbaren Objecten $ m $ unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die Elemente von $ M $ genannt werden) zu einem Ganzen.

Anmerkungen

Laut Wußing[3] wurde die eigenltich Mengenlehre 1874 von Georg Cantor mit der Abhandlung „Ueber eine Eigenschaft des Inbegriffs aller reellen algebraischen Zahlen“[4] begründet. In dieser Schrift beweist Cantor, dass die Menge der reellen Zahlen echt mächtiger als die Menge der natürlichen Zahlen ist. In den folgenden Jahren verfeinert Cantor die Grundideen der Mengenlehre in mehreren Abhabhandlungen zum Thema „Mannichfaltigkeitslehre“. Später ersetzt er die Begriffe „Inbegriff“ und „Mannichfaltigkeit“ durch den von Bolzano geprägten Begriff „Menge“.

Cantors Definition von 1895 führt, wenn man eine uneingeschränkte Mengenbildung zulässt, zu einer Antinomie, d.h. zu einem logischen Paradoxon. Dieses wurde 1902 erstmals von Bertrand Russell beschrieben und ist heute unter dem Namen Russellsche Antinomie bekannt.

Um diese Paradoxon zu vermeiden, muss man die Mengenbildung einschränken. Man muss also zusätzlich festlegen, welches die „bestimmten“ Objekte sind, die man in einer Menge zusammenfassen darf. Man beachte, dass die Einschränkung auf „bestimmte“ Objekt bereits von Cantor gefordert wurde. Nur war ihm damals noch nicht bewusst, wie wichtig dieser einschränkende Zusatz ist.

Anschauliche Definition: Kumulative Typenstruktur

Gegeben sei ein „Vorrat“ von wohlunterscheidbaren Urelementen. Unter diesen Elementen befinde sich keine der nachfolgend definierten Mengen.

  • Eine Menge der $1$. Stufe ist eine Zusammenfassung von Urelementen.
  • Eine Menge der $n+1$. Stufe ist eine Zusammenfassung von Urelementen und/oder Mengen einer niedrigeren Stufe $i \le n$.

Anmerkungen

Die kumulative Typenstruktur vereitelt die Russellsche Antinomie, indem sie festlegt, dass eine Menge nicht mehr beliebige Objekte enthalten darf, sondern nur noch bestimmte Objekte, nämlich Objekte einer nidrigeren Stufe. Dadurch wird die Definition der so genannten Russell-Menge („Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten“) unterbunden.

Die oben definierte Struktur kann mit Hilfe transfiniter Induktion deutlich erweitert werden. Außerdem verzichtet man heute i. Allg. auf die Definition von Urelelementen. Es gibt also nur eine Menge der ersten Stufe: Die leere Menge. Diese dient als einziges „Urelement“ für alle weiteren Mengenstufen.

Geschichte und weitere Varianten der hierarchischen Typenstrukturen: siehe Hauptartikel Kumulative Typenstruktur.

Formale mathematische Definitionen

In der modernen Mathematik werden „Mengen“ selbst nicht mehr definiert (genauso wenig wie „Punkte“, „Gruppen“ etc.). Stattdessen geht man davon aus, dass es ein Universum von „Mengen“ gibt, für das bestimmte Regeln gelten. Diese Regeln werden im Rahmen der sogenannten Mengenlehre mit Hilfe der Prädikatenlogik erster Stufe formal festgelegt.

Heutzutage werden im Wesentlichen zwei prädikatenlogische Axiomensystem eingesetzt:

In beiden Axiomensystemen gibt es nur ein Prädikat, die so genannte Elementbeziehung: $x \in y$ („$x$ ist Element von $y$“). Weiter Prädikate, wie die Teilmengenbeziehung ($x \subseteq y$), die Gleichheit zweier Mengen ($x=y$) etc. können mit Hilfe der Elementbezziehung definiert werden:

  • $x \subseteq y \quad :\leftrightarrow\quad \forall e: e \in x \leftrightarrow e \in y$
  • $x = y \quad :\leftrightarrow\quad x \subseteq y \wedge y \subseteq x$
  • etc.

Während der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre ein Universum von „Mengen“ zugrunde liegt, wird in der Neumann-Bernays-Gödel-Mengenlehre ein allgemeiners Universum betrachtet: Ein Universum von „Klassen“. In diesem Univesum gibt es zwei Arten von Klassen: „Mengen“ und „Unmengen“. Eine Menge zeichnet sich dadurch aus, dass sie Element einer beliebigen Klasse ist. Eine Unmenge ist dagegen kein Element irgendeiner Klasse.

Anmerkungen

Die Russellsche Antinomie wird in jedem der zuvor beschriebenen Axiomensystemen durch eine (axiomatische) Beschränkung der Mengenbildung vermieden. In der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre kann die Russell-Menge nicht definiert werden, in der Neumann-Bernays-Gödel-Mengenlehre kann zwar die Russell-Klasse definiert werden. Bei dieser Klasse handelt es sich jedoch um eine Unmenge. Es gibt also auch hier keine Russell-Menge.

Die Frage, ob die Axiomensystemen der Mengenlehre nun, da die Russellsche Antinomie beseitigt wurde, widerspruchsfrei sind, kann nicht positiv beantwortet werden. In seinem zweiten Unvollständigkeitssatz beweist Kurt Gödel, dass hinreichend starke widerspruchsfreie Systeme ihre eigene Widerspruchsfreiheit nicht beweisen können.[5][6] Mit „hinreichend stark“ ist hier gemeint, dass die Arithmetik der natürlichen Zahlen im System formalisiert werden kann. Dies ist bei den Mengenlehreaxiomen der Fall.

Allerdings gibt es zahlreiche Beweise der Art „Wenn die Zermelo-Fraenkelsche-Mengenlehre widerspruchsfrei ist, dann ist auch das erweiterte/eingeschränkte System XYZ widerspruchsfrei“.[7]

Weitere Zusammenfassungen von Objekten

Mengen sind nicht die einzige Möglichkeit, „Objekte unserer Anschauung und unseres Denkens“ zu einer Einheit zusammenzufassen.

Die Definition von Cantor ist hinsichtlich des Aufbaus von Mengen etwas unpräzise. Für axiomatisch definierte Mengen und Klassen gelten jedoch folgenden zwei Eigenschaften:

  • Die Element-Beziehung legt keine Reihenfolge der Elemente fest: $\{a,b,c\} = \{c,b,a\} = \{b,a,c\} \ldots$
    (vgl. insbesondere Bolzanos Definition)
  • Zwei Klassen, die dieselben Elemente enthalten, werden als gleich bezeichnet und behandelt, unabhängig davon, wie oft eine Klasse ein Element enthält. Anschaulich bedeutet das, das eine Klasse jedes Element höchstens einmal enthält: $\{a,b,c\} = \{a,a,a,b,b,c,c,c,c,c\} = \{a,b,a,c,a\} \ldots$.

Andere Arten von „Objekt-Zusammenfassungen“ berücksichtigen die Anzahl und/oder die Reihenfolge der Elemente:

  • Liste (Reihenfolge der Elemente liegt fest; Element können mehrfach vorkommen)
  • Feld/Array (Reihenfolge und Anzahl der Elemente liegt fest; Elemente können mehrfach vorkommen)
  • assoziatives Feld (jedes Element hat einen eigenen Bezeichner; Elemente können mehrfach vorkommen)
  • Multimenge (Reihenfolge der Elemente ist undefiniert; Elemente können mehrfach vorkommen)

Alle diese Arten von Containern werden vor Allem im Programmiersprachen verwendet. Aus mengentheoretischer Sicht reicht es aus, das Paarmengenaxiom zu fordern. Damit können alle diese Arten von Containern mit Hilfe von Mengen nachgebildet werden (siehe insbesondere folgenden Artikel: Tupel).

Quellen

  1. Bolzano (1975): Bernard Bolzano; Bolzano, Bernard: Gesamtausgabe – Einleitung in die Größenlehre und erste Begriffe der allgemeinen Größenlehre; Hrsg.: Jan Berg; Reihe: II, A; Band: 7; Verlag: Friedrich Frommann Verlag; Adresse: Stuttgart, Bad Cannstatt; ISBN: 978-3-7728-0466-3; Web-Link; 1975; Quellengüte: 5 (Buch), S. 152
  2. Cantor (1895): Georg Cantor; Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre; in: Mathematische Annalen; Band: 46; Nummer: 4; Seite(n): 481 – 512; Verlag: B. G. Teubner Verlag; Adresse: Leipzig; ISSN: 00255831 (Papier), 14321807 (Online); Web-Link 0, Web-Link 1, Web-Link 2, Web-Link 3; 1895; Quellengüte: 5 (Artikel)
  3. Wußing (2009): Hans Wußing; 6000 Jahre Mathematik – Eine kulturgeschichtliche Zeitreise – Von Euler bis zur Gegenwart; Hrsg.: H.W. Alten, A. Djafari Naini und H. Wesenmüller-Kock; Band: Band 2; Auflage: 1; Verlag: Springer-Verlag GmbH; Adresse: Berlin; ISBN: 3642023630; 2009; Quellengüte: 5 (Buch), S. 377
  4. Cantor (1874): Georg Cantor; Ueber eine Eigenschaft des Inbegriffs aller reellen algebraischen Zahlen; in: Journal für die reine und angewandte Mathematik; Band: 1874; Nummer: 77; Seite(n): 258 – 262; Verlag: Walter de Gruyter GmbH; Adresse: Berlin; ISSN: 14355345 (Print) 00754102 (Online); Web-Link 0, Web-Link 1, [ Web-Link 2]; 1847; Quellengüte: 5 (Artikel)
  5. Gödel (1931): Kurt Gödel; Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I; in: Monatshefte für Mathematik und Physik; Band: 38; Nummer: 1; Seite(n): 173-198; Verlag: Springer-Verlag GmbH; Adresse: Wien; Web-Link; 1931; Quellengüte: 5 (Artikel)
  6. Schwichtenberg (2009): Helmut Schwichtenberg; Mathematical Logic; Hochschule: Ludwig-Maximilians-Universität; Adresse: München; Web-Link; 2009; Quellengüte: 5 (Skript)
  7. siehe z.B. Ebbinghaus (2003): Heinz-Dieter Ebbinghaus; Einführung in die Mengenlehre; Reihe: Hochschultaschenbuch; Auflage: 4; Verlag: Spektrum Akademischer Verlag; Adresse: Heidelberg, Berlin; ISBN: 3-8274-1411-3; 2003; Quellengüte: 5 (Buch)